Ich habe vor langer Zeit in einem anderen Forum (Jenny) mal einen episch langen Text geschrieben, unter dem Titel "Von Wölfen und Lämmern", wo ich Parallelen zwischen "Giorgino" und dem Bühnenwerk "The Lamb Lies Down On Broadway" von Genesis gezogen habe. Wo es absurderweise in der Tat *erhebliche* Parallelen gibt, im Bezug auf die Produktion, die Auswirkungen auf die Protagonisten, den Mythos, die Rätsel, das Scheitern, das Erbe, die Nachwehen – aber eben bizarrerweise sogar im Inhalt bzw. einer möglichen Entschlüsselung des Ganzen.
Blöderweise hatte ich weite Teile des Textes damals erst online ausgebaut und geschrieben, blöderweise habe ich das damals nicht extra gesichert, und blöderweise ist das ganze Forum kurz danach in einem schwarzen Loch verschwunden... rofl.
Ich habe nur noch einen frühen Rohentwurf, und seitdem wollte ich den schon immer mal rauskramen und neu formulieren, aber man kommt ja zu nix mehr...
Anyway, zum fundamentalen Hintergrund kann ich Dir kurz eine wesentliche Entdeckung mittteilen, die ich damals selbst beim zweiten Anschauen gemacht habe, und die mich zu "Lamb" gebracht hat, denn "Lamb" ist für mich keine reale Geschichte, sondern eine Art Geisterbahnfahrt des Protagonisten durch sein eigenes Unterbewußtsein, auf der ihm alle seine Ängste als physische Gegner erscheinen.
"Giorgino" sehe ich genauso, für mich ist das *keine* reale Geschichte in dem Sinn, daß das alles irgendwie "passiert". Weil, es gibt ein sehr starkes Handlungselement, das sich im Film permanent wiederholt und gleichzeitig geschieht:
- die gesamte Einheit von Giorgino kommt im Schützengraben ums Leben, nur einer - er selbst - überlebt, aber schwer angeschlagen
- alle Waisenkinder kommen im Wald im See ums Leben, nur eine - Catherine - überlebt, allerdings ist sie geistig schwer angeschlagen
- alle Männer aus dem Dorf kommen an der Front ums Leben, nur der Sohn der Wirtin überlebt, allerdings nahezu invalide
An der Stelle kann man nun zwei Folgerungen schließen. Man könnte es als künstlerische Metapher betrachten, was allerdings solch ein Holzhammer wäre, daß man nur Robert Gernhard seelig zitieren kann: "Mein Gott ist das beziehungsreich, ich glaub' ich übergeb' mich gleich..."
Ich glaube nicht, daß Boutonnat hier einen solchen Holzhammer im Sinn hatte, sondern ich glaube einfach: Das ist alles nicht real! Das geschah/geschieht alles nicht wirklich, sondern das ist eine Art fixe Idee wie aus einem (Alp)Traum, in dem sich ja auch gerne immer wieder das gleiche Muster in Variationen wiederholt.
Und fängt man mal an, über diese Theorie nachzudenken, dann bemerkt man sofort, daß sich diese "seltsamen Schleifen", bei denen immer nur einer mit knapper Not lebend rauskommt, dann auch noch punktuell verbinden. Giorgino verliebt sich in Catherine. Giorgino wird an einer Stelle von der Zimmerwirtin mit ihrem Sohn (der dann als einziger aus dem Krieg zurückkam) verwechselt! Das heißt, diese singulären "Überlebenden" sind dann auch noch miteinander verbunden.
Das ist natürlich komplexer Tobak, und es gibt genügend andere Erklärungen, aber ich finde schon, daß das Ganze "anschaubarer" wird, wenn man sich von der Idee löst, einer pseudo-realen Handlung wie in einem Gothic Thriller zu folgen. Wie auch bei "Lamb", als "reale" Geschichte wäre das komplett überladener verkopfter Studenten-Schwachsinn. Betrachtet man es aber als Traum-Phantasmagorie, in dem Rael (die Hauptfigur, die kulturell völlig entwurzelt ist und vor *allem* Angst hat, vor dem man Angst haben kann, aber trotzdem den Helden spielt) alle seine widersprüchlichen Dämonen der Reihe nach begegnen, wird es sofort einfacher, das Ganze aufzunehmen.