Hey... noch jemand, der sich an die Halle 8 erinnert... war eine Weltreise dorthin zu laufen, oder sich in den überfüllten Shuttlebus auf dem Gelände zu quetschen...
Was die Existenzberechtigung solcher Messen angeht, es kommt natürlich immer darauf an, was genau man dort sucht. Um antiquarisch einzukaufen sind die Alternativen mannigfaltig, das war und ist damals wie heute. Aber andere Aspekte sind und bleiben halt auch recht alternativlos. Das Internet ist der perfekte Ort, um etwas zu kaufen, von dem man bereits weiß und das man *sucht*. Aber es ist ein ziemlich ungünstiger Ort für Dinge, von deren Existenz man keine Ahnung hatte, bis zu der Sekunde, wo man sie plötzlich sieht. Wie suche ich in Google nach einem Buch oder einer Platte, von denen ich nie was gehört oder gesehen habe... Ist man nur Fan eines Künstlers, dann gibt es Foren wie dieses hier und dort erfährt man dann von neu aufgetauchten Sachen. Hat man aber ein eher breit aufgestelltes Interesse, dann... tja dann muß man in viele Plattenläden gehen, überall in der Welt, und auf Börsen, und auf Messen. Und dort durchlaufen, und dann sieht man plötzlich etwas.
Vor ein paar Jahren bin ich über die Messe gelaufen und sehe plötzlich aus dem Augenwinkel ein großes Plakat mit einem großen Foto von Nico. Das reißt einen herum und man schaut genauer hin, und unter dem Foto stand das berühmte Zitat "Sie läuft ja wie ein Rasiermesser durch die Welt, man schneidet sich an ihr" von Harald inHülsen. Den ich über alle Maßen schätze und der einen gewissen Einfluß auf meine eigene Geschichte hatte. Das Ende vom Lied war ein langes Gespräch mit dem Verlagsgründer vor Ort, Reviews vom Nico Buch (und später eins über ein ebenso interessantes Buch über Kevin Coyne) und vor allem die Info, daß der Verlag nun seit einigen Jahren ein Buch über Harald inHülsen (ein verstorbener Journalist, der in den 70ern Artikel über AvantGarde Künstler in Mainstream-Magazinen veröffentlichte) selbst in Planung hat, auf das ich mich freue wie ein Schnitzel.
Hätte ich vom Nico-Buch anderweitig erfahren? Na ja, vielleicht schon, so eine 70:30 Chance, so viele Bücher gibt es ja auch nicht über sie. Hätte ich anderweitig von den ganzen sonstigen Projekten des Verlags erfahren? Mit Sicherheit nicht, und *dafür* ist sowas wie die Buchmesse dann halt notwendig, wichtig und unverzichtbar. Jedenfalls solange sie noch besucht wird, von beiden Seiten des Tresens.
***
Apropos... diese Woche veröffentlichte die Buchmesse ihre neuen Rekordzahlen, so viele Besucher und Aussteller wie dieses Jahr gab es noch NIE! Wait... what!!??
Das melden sie jedes Jahr und wie heißt es so schön? Im Krieg stirbt als erstes die Wahrheit...
Es ist offensichtlich, wie die Ausstellerzahlen schöngerechnet werden, es gibt jetzt seit ein paar Jahren die "Workspaces", das sind großflächige Bereiche mit kleinen Einzeltischen für 2 Personen. Verlage schicken einen einzigen Vertreter, mit dem kann man vorher einen Termin ausmachen und setzt sich dann eine halbe Stunde dort hin um zu verhandeln. Die meiste Zeit sind 99% der Tische leer, aber jeder Tisch ist einem Verlag zugeordnet und steht auch im Ausstellerkatalog. Das ist schön und gut, aber konterkariert natürlich, was ich eben erzählt habe - um gezielt mit einem Verlagsvertreter zu verhandeln, kann ich ihn auch so kontaktieren, das ganze Jahr lang, per Telefon, Zoom, und für echte Verhandlungen kann man auch einen eigenen Ortstermin aushandeln, da braucht man die Messe nicht. Aber diese unzähligen leeren Tische gehen natürlich 1:1 wie jeder echte Stand in den Katalog ein.
Und der zweite Effekt sind die "Gemeinschaftsstände", jedes Land hat einen großen Präsentationsstand, und dort sind *hunderte* Verlage "vertreten". Da steht z.B. Gründ (der französische Verlag, der die Mylène Bildbände rausbringt), aber wenn man dann zu der Verlagsadresse im Katalog hinläuft, landet man auf dem großen Frankreich-Stand und dort liegen dann irgendwo versteckt zwischen hunderten anderen Büchern 2-3 Kochbücher in einem Regal. Und ein Verlagsvertreter ist in der Regel überhaupt nicht mehr vor Ort. Das gab es so vor 10 Jahren noch nicht, da war jeder Eintrag im Katalog noch ein echter eigener Messestand, und so treibt man natürlich die Ausstellerzahlen Jahr für Jahr auf neue Rekordhöhen.
Schleierhaft ist mir hingegen, wie sie auch die Zuschauerzahlen in immer neue Höhen schönrechnen. Daß die Messe vor 10 Jahren noch mehr als die doppelte Fläche hatte und die Besucher preß standen, während sie sich heute auf der halben Fläche einzeln verlaufen, aber *mehr* sein sollen... Wunder über Wunder. Vielleicht ist die Messe ja inzwischen im Innern von Harry Potters Campingzelt und/oder der Tardis.
Am Sonntag kamen natürlich die Cosplay-Leute, die ansonsten mit der Buchmesse nichts zu tun haben, vielleicht war auch dafür die 1.2 "New Adult" Halle so überdimensioniert. Dann haben sie den Freitag zum weiteren Publikumstag erkoren und damit natürlich für die normalen Besucher das Angebot um 50% erweitert.
Und was vielleicht auch noch eine Rolle spielt – es gibt jetzt neuerdings inflationär viele Veranstaltungen außerhalb des Messegeländes, Konzerte und Lesungen an irgendwelchen anderen Theatern und Sälen überall in Frankfurt, auch am Abend und vor/nach der Messezeit. Ich vermute, deren Besucher werden einfach mitgezählt. Und so schreitet man folglich von Erfolgsgeschichte zu Erfolgsgeschichte, und wenn nun Jahr für Jahr immer mehr Menschen zu immer weniger kommen, dann kommen am Ende dann irgendwann *alle* Menschen zu *garnichts*...