imagine hat geschrieben:Klar war Alizée am Anfang eher Kunstfigur als Künstlerin, einfach weil das Lolita-Image damals quasi überall zu sehen gewesen ist. Kann mir aber nicht vorstellen, dass sie das mitgemacht hätte wenn es ihr nicht gefallen hätte. Und ich glaube auch nicht, dass Mylène sie zu was gezwungen hätte.
Ich merke ja grade erst, daß das hier der "Alizée" Thread ist, und daher folglich auch nicht off-topic...
Also gut, ich versuch's mal kurz. Offizielle Fakten gibt es, wie immer, gar keine, folglich ist man in der Recherche so oder so darauf angewiesen, alle völlig widersprüchlichen Stories irgendwie einzuordnen und anhand der wenigen harten Fakten, die man selbst verifizieren kann, selbst zusammenzufügen. Ich hatte mich vor ein paar Jahren sehr intensiv mit dem Thema befasst und kam zu ungefähr folgendem Resultat (das natürlich nicht mehr und nicht weniger ist, als meine persönlichen 4 Pfennige).
Glaubt man der veröffentlichten Presse-Story, dann hat Farmer Alizée in einer Casting-Show "entdeckt", war begeistert von ihrer musikalischen Kunst und beschloß, ihr "unter die Arme" zu greifen.
Eine anrührende Geschichte, und ich sehe es regelrecht vor mir: Mylène sitzt zuhause mit Laurent und Thierry auf dem Sofa und guckt "Frankreich sucht den Superstar", während Benoît zwischen Sofa und Küche pendelt und den Nachschub an Chipstüten, Erfrischungsgetränken und Fluppen sicherstellt...
Glaubt man das nicht, gibt es eine andere Version. Nach der hätte Farmer "Gourmandises" um 1999 herum für sich selbst geschrieben, als eine Art Konzeptalbum über kindliche Sexualität und (so die Spekulation) wohl sogar mit autobiographischen Zügen, zumindest decken sich ein paar Sachen in den Texten mit ein paar der wilderen Interviewfetzen, die sie Ende der 80er noch ab und zu vom Stapel ließ. Es wird behauptet, daß es auch diverse Demos von ihr gäbe (was in jedem Fall glaubwürdig ist, und sei es nur für Guide Vocals) und es ist ein offenes Geheimnis (und auch gut hörbar), daß z.B. das gesprochene "Lo-Li-Ta" von ihr ist. Dann aber hätte sie Skrupel ob ihres Alters bekommen.
Schaut man sich die TV Footage dieser "Casting Show" an (es gibt nur einen geretteten Schnipsel von Alizées zweiten Auftritt) faßt man sich etwas an den Kopf, wer davon "fasziniert" sein sollte... zumal sie auch nur zweite (von drei) wurde. Und dazu paßt auch die Geschichte, wie sie da hinkam: Sie wollte als Tänzerin hin, erfuhr aber erst vor Ort, daß keine Solo-Tänzer sondern nur Gruppen genommen werden. Weil sie nicht sofort wieder heimfahren wollte, entschloß sie sich, spontan zu singen.
Man sieht in dem Clip ein nettes liebes Mädel mit hübschen Gesicht, das viel jünger wirkt als sie ist, und eine farblose ordentliche Singstimme hat. Selbstvertrauen strahlt sie kaum aus und wirkt brav und gehorsam. Ob sie schon Tattoos hatte, weiß ich nicht, aber auf ihrer Stirn stand mit unsichtbarer Tinte das Wort "Opfer".
Und dieses Mädchen haben sie dann "Gourmandises" singen lassen und zu (wohl) ihrer eigenen Verblüffung wurde "Moi Lolita" europaweit zum Monsterhit. Die war ja am Ende sogar in "Wetten Daß" (gruseliger Auftritt...) Und aus der Nummer kamen sie dann auch nicht mehr so ohne weiteres raus, also gab es 2 Jahre später nochmal ein Folgealbum, dem man aber anhört, daß es jetzt kein großes Kind der Liebe war.
Und ein paar Jahre später gab es plötzlich noch einen verspäteten kleinen Knall. Ein Enthüllungsmagazin im TV (sowas wie "Monitor" oder "Report") hatte Kopien ihres Vertrages bekommen, und der war heftig. Sie wurde offenbar von Farmer und Boutonnat bis in jedes Detail gesteuert - quasi bis hin zu welche Frühstücksflocken sie im Hotel essen soll und wann genau sie aufs WC gehen darf (Scherz, aber die Richtung stimmt). Das war auch, glaub ich, so ziemlich der einzige richtig negative Beitrag über Farmer im franz. Mainstream TV - das merkte man sogar ohne Französisch-Kentnisse. Die Passagen aus dem Vertrag wurden mit unheilvoller Stimme aus dem Off verlesen, und im Hintergrund waren Slow-Motion Bilder von Farmer auf einem Regie-Stuhl, wie die böse Hexe des Ostens...
Kurz darauf gab es ein Interview mit Alizée (die in dem Bericht interessanterweise selber gar nicht zu Wort kam...) indem sie die Sache herunterspielte. Auf die kryptischen Texte von "Gourmandises" mit den teilweise heftigen sexuellen Metaphern angesprochen, sagte sie, sie hätte damals "keine Ahnung" von diesen Inhalten gehabt, und Farmer hätte auch nie mit ihr darüber gesprochen. Zurückblickend wäre sie sich heute darüber im Klaren, daß Farmer sie "benutzt" (sic) habe. Das wäre für sie aber in Ordnung, da ihr das alte Material nichts ausmache, ihr die Platten gefallen, sie fürstlich entlohnt wurde, Farmer sie immer gut behandelt habe und sie ihr deshalb für die Jahre damals bis heute sehr dankbar wäre.
Soweit ist die Lage, so wie ich sie selber (unterm Strich) für die plausibelste Geschichte halte, aber natürlich (wie jede andere Variante) ohne belastbare Beweise...
-- 22. Mai 2014, 13:54 --
PS: Und da nicht jeder mit der Lebensgeschichte der Gainsbourgs vertraut sein dürfte, will ich jetzt noch schnell nachreichen, was ich mit Gainsbourg & Gall meinte...
Serge Gainsbourg suchte Anfang/Mitte der 60er nach Wegen, sich (auch) ökonomisch besser in der Öffentlichkeit zu positionieren und begann "naive kleine Mädchen" für das Massenpublikum zu produzieren. Dabei stieß er auf France Gall, deren Eltern so dicke Dollarzeichen auf den Pupillen hatten, daß sie den sprichwörtlichen Schuß nicht mehr hörten...
Wer den Film "Gainsbourg - Vie Héroïque" kennt (dämlicher deutscher Titel "Gainsbourg - Der Mann, der die Frauen liebte"), dort ist eine wunderbare Szene drin, wo Gall (Sara Forestier) durchs Zimmer hüpft und ihrem begeisterten Vater und einem völlig konsternierten Gainsbourg "Baby Pop" vorgröhlt...
In späteren Jahren begann sich Gall bitterlich über Gainsbourg zu beschweren, eine Jammer-Tirade, die sie bis auf den heutigen Tag bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit wiederholt. Sie hätte keine Ahnung gehabt, zu welchen sinistren Zwecken er sie benutzt habe, und sie fühle sich von ihm (künstlerisch) "mißbraucht".
Dazu folgende Verständnisfrage... für
wie wahrscheinlich hält man es, daß diese Frau
nicht bemerkt haben will, daß sie da ein Lied über
Oralsex gesungen hat?
(Link nicht einbettbar)
