von MartinC » 22. Okt 2021, 12:01
Und dann berichte ich mal von der real existierenden schönen neuen Welt (™)...
Letztes Jahr fiel die Buchmesse natürlich komplett aus, bzw. wurde "virtuell" durchgeführt. Dieses Jahr findet sie wieder "fast normal" (sic) statt, und ich denke, das ist nicht uninteressant zu sehen. Falls jemand am Wochenende zu den Besuchertagen hin will - ich möchte die Leute weder ermutigen noch entmutigen, aber man sollte wissen, was einen erwartet.
Statt der üblichen 7500 Verlage sind grade mal 2000 gemeldet, wobei viele davon letztlich gar nicht gekommen sind. Der Zugang ist auf 25.000 Personen pro Tag beschränkt (3G, strikte Kontrollen mit ID/Ausweis), und als wir beschlossen hatten, trotz alledem dieses Jahr wieder hinzugehen, gab es durchaus Gedrängel um die freien Slots. Was wir dann vor Ort vorgefunden haben, war... nennen wir es mal ernüchternd.
Der Einlaß hat den Charme vom Eingang eines Flüchtlingslagers, es gibt einen regelrechten Hangar für die Kontrollen. Im TV wurde gemeldet, es hätte "Schlangen" und "großen Andrang" gegeben... nun, eine knappe Stunde nach Öffnung sah es dann immer so aus:
Die Gänge aller Hallen sind extrem breit, was zwar die Atmosphäre schmälert aber natürlich angenehm zum Laufen ist. Und Atmosphäre gäbe es auch sonst nicht wirklich, weil schlichtweg so gut wie niemand da ist. Die Halle 3 ist bekanntermaßen die Hölle, und zwischen 11 Uhr und 15 Uhr in der Regel nicht mehr zu betreten, die Leute stehen press und man kommt keinen Millimeter rein oder raus - auch an den Fachbesucher-Tagen. Dieses Jahr sah die Halle um Punkt Mittag immer so aus:
Was die Hallen selbst betrifft - die Halle 5 gibt es gar nicht mehr, und die gesamte Messe findet nur noch in den Hallen 3.0 und 3.1 für die deutschen Verlage, der Halle 4.0 und einem Teil von 4.1 sowie der Halle 6.0 für alle internationale Verlage statt. Vor 2 Jahren waren noch 3+4 die deutschen und 5+6 die internationalen Stände, und zwar alle Etagen.
Und selbst die belegten Etagen sind trickreich verbaut, die Etage 4.1 sieht von vorne erstmal noch halbwegs belegt aus, aber von hinten plötzlich so:
Und die Halle 6.0 schaut schließlich erstmal noch etwas besser aus, wenn man ignoriert, daß sie früher mal 3 Etagen hatte, und direkt angeschlossen nochmal alle Etagen der großen Halle 5 daneben:
Und dann sind auch noch erschreckend viele Stände einfach leer geblieben, selbst auf den nationalen Sammelständen, wo kleinere Verlage dann jeweils ein Regal haben. Das Beispiel aus Italien ist dafür recht typisch:
Der Frankreich-Stand ist dabei sogar noch richtig gut gefüllt, leider ist aber der Verlag "J'ai Lu" nicht dabei, die ja grade die 10 Paperbacks mit den Cover-Illustrationen von Madame herausbringen. Wäre hübsch gewesen, die einmal in der Hand zu haben.
Und schließlich, wer den "Agora"-Platz kennt, mit seinen Ständen und Gewusel (die hunderte Straßenstände gibt es dieses Jahr überhaupt nirgendwo mehr auf dem Gelände), so sieht das zur Mittagszeit aus - und im Hintergrund sieht man die Halle 5, die praktischerweise grade komplett entkernt und umgebaut wird:
Es ist schön, daß überhaupt etwas stattfindet, aber es gibt doch eine Sache, die mich ausgesprochen frustriert. Nämlich das Gerede über die "Fast-Normalität" des Ganzen, alle reden sich da grade besoffen, daß das ja nun im Grunde schon all unser Leben zurück ist. Und wenn jetzt nächstes Jahr unter gleichen Bedingungen 2200 statt 2000 Verlage kommen, dann wird das eine Sensation sein, und viel besser und größer als jemals zuvor. Und wer behauptet, es wäre vor 5 Jahren noch ganz anders gewesen... der ist ein Demagoge, auf den man ein Auge haben muß.
Wir haben hier komischerweise noch nie über Boris Vian gesprochen, obwohl es Bezüge zu Madame gibt. Ich muß an sein Theaterstück "Die Reichsgründer" denken, in den letzten 2 Jahren spielen wir das grade hier im Westen im realen Leben. Vielleicht schreibe ich mal was über ihn.
Ich muß gestehen, daß ich mir gar nicht sicher bin, ob dies nicht vielleicht die letzte Buchmesse war. Ich gehe da seit 30 Jahren hin, und kein einziger Verlag, der irgendwann einmal weg war, kam danach jemals zurück. Dreiviertel der Verlage sind dieses Jahr nicht da, und wenn ich mit meinen wenigen Bekannten gesprochen habe - am ersten Tag wären ihre "Stammkontakte" alle gekommen, aber am zweiten Tag kam überhaupt keiner mehr. Und das habe ich selbst gemerkt, am Mittwoch bin ich alle Stände in 3 Stunden abgelaufen, am Donnerstag hab ich eigentlich nur noch gebummelt, aber wo immer man eine Sekunde auf ein Bild oder ein Buch geschaut hat, kamen die angerannt wie von der Tarantel gestochen und haben einen zugetextet... Endlich, nach Stunden, ein Besucher von ihrem kleinen Stand...
Dafür hatten wir diesmal Zeit, viel herumzulaufen und Bilder zu machen, die man sonst nie macht. Die wunderbare alte Festhalle von außen:
...und innen ist man ja eigentlich nie mit richtiger Kamera, wenn sie sowohl menschenleer als auch illuminiert ist. Es ist die zweitschönste Halle in Deutschland, die ich kenne, aber sie hat die zweit-beschissendste Akkustik in Deutschland...
Und was mir sehr gut gefallen hat, ist die kleine Präsentationshalle des Gastlands Kanada. Die Selbstdarstellungen der Gäste in den letzten 3 Jahrzehnten waren immer die langweiligsten und scheußlichsten Möchtegern-Installationen imaginable. Aber Kanada hat wunderschöne "Wellen" als Kunstwerk aufgebaut, auf die bewegte Farben projeziert werden. Man kann ZickZack durchlaufen und die optische Wirkung ist zauberhaft:
Also... wer trotz alledem hingehen will, unterstützt die Messe. Aber sie ist sehr teuer und sehr anstrengend (die Shuttle-Busse werfen einen dieses Jahr hinter der Festhalle raus, man muß bei Wind und Wetter komplett um den Komplex herumlaufen und dann vom Eingang innen gefühlte Kilometer den ganzen Weg zurück zu den Hallen... eigentlich ist man am ersten Stand dann schon fußlahm) und deshalb sollte man wissen, daß man leider nur sehr wenig zu sehen bekommt. Bücher liegen weniger als in jeder großen Buchhandlung herum, die ganzen schönen kleinen obskuren und exotischen Verlage fehlen, es gibt keine Hüttenstände auf den Straßen, und Promis und Shows gibt es auch faktisch keine.
Und dann berichte ich mal von der real existierenden schönen neuen Welt (™)... :egal:
Letztes Jahr fiel die Buchmesse natürlich komplett aus, bzw. wurde "virtuell" durchgeführt. Dieses Jahr findet sie wieder "fast normal" (sic) statt, und ich denke, das ist nicht uninteressant zu sehen. Falls jemand am Wochenende zu den Besuchertagen hin will - ich möchte die Leute weder ermutigen noch entmutigen, aber man sollte wissen, was einen erwartet.
Statt der üblichen 7500 Verlage sind grade mal 2000 gemeldet, wobei viele davon letztlich gar nicht gekommen sind. Der Zugang ist auf 25.000 Personen pro Tag beschränkt (3G, strikte Kontrollen mit ID/Ausweis), und als wir beschlossen hatten, trotz alledem dieses Jahr wieder hinzugehen, gab es durchaus Gedrängel um die freien Slots. Was wir dann vor Ort vorgefunden haben, war... nennen wir es mal ernüchternd.
Der Einlaß hat den Charme vom Eingang eines Flüchtlingslagers, es gibt einen regelrechten Hangar für die Kontrollen. Im TV wurde gemeldet, es hätte "Schlangen" und "großen Andrang" gegeben... nun, eine knappe Stunde nach Öffnung sah es dann immer so aus:
[img]https://www.empiremusic.de/foren/buchmesse/DSC08902.jpg[/img]
Die Gänge aller Hallen sind extrem breit, was zwar die Atmosphäre schmälert aber natürlich angenehm zum Laufen ist. Und Atmosphäre gäbe es auch sonst nicht wirklich, weil schlichtweg so gut wie niemand da ist. Die Halle 3 ist bekanntermaßen die Hölle, und zwischen 11 Uhr und 15 Uhr in der Regel nicht mehr zu betreten, die Leute stehen press und man kommt keinen Millimeter rein oder raus - auch an den Fachbesucher-Tagen. Dieses Jahr sah die Halle um Punkt Mittag immer so aus:
[img]https://www.empiremusic.de/foren/buchmesse/P1040882.jpg[/img]
Was die Hallen selbst betrifft - die Halle 5 gibt es gar nicht mehr, und die gesamte Messe findet nur noch in den Hallen 3.0 und 3.1 für die deutschen Verlage, der Halle 4.0 und einem Teil von 4.1 sowie der Halle 6.0 für alle internationale Verlage statt. Vor 2 Jahren waren noch 3+4 die deutschen und 5+6 die internationalen Stände, und zwar alle Etagen.
Und selbst die belegten Etagen sind trickreich verbaut, die Etage 4.1 sieht von vorne erstmal noch halbwegs belegt aus, aber von hinten plötzlich so:
[img]https://www.empiremusic.de/foren/buchmesse/P1040910.jpg[/img]
Und die Halle 6.0 schaut schließlich erstmal noch etwas besser aus, wenn man ignoriert, daß sie früher mal 3 Etagen hatte, und direkt angeschlossen nochmal alle Etagen der großen Halle 5 daneben:
[img]https://www.empiremusic.de/foren/buchmesse/DSC08974.jpg[/img]
Und dann sind auch noch erschreckend viele Stände einfach leer geblieben, selbst auf den nationalen Sammelständen, wo kleinere Verlage dann jeweils ein Regal haben. Das Beispiel aus Italien ist dafür recht typisch:
[img]https://www.empiremusic.de/foren/buchmesse/DSC08970.jpg[/img]
Der Frankreich-Stand ist dabei sogar noch richtig gut gefüllt, leider ist aber der Verlag "J'ai Lu" nicht dabei, die ja grade die 10 Paperbacks mit den Cover-Illustrationen von Madame herausbringen. Wäre hübsch gewesen, die einmal in der Hand zu haben.
Und schließlich, wer den "Agora"-Platz kennt, mit seinen Ständen und Gewusel (die hunderte Straßenstände gibt es dieses Jahr überhaupt nirgendwo mehr auf dem Gelände), so sieht das zur Mittagszeit aus - und im Hintergrund sieht man die Halle 5, die praktischerweise grade komplett entkernt und umgebaut wird:
[img]https://www.empiremusic.de/foren/buchmesse/DSC08915.jpg[/img]
Es ist schön, daß überhaupt etwas stattfindet, aber es gibt doch eine Sache, die mich ausgesprochen frustriert. Nämlich das Gerede über die "Fast-Normalität" des Ganzen, alle reden sich da grade besoffen, daß das ja nun im Grunde schon all unser Leben zurück ist. Und wenn jetzt nächstes Jahr unter gleichen Bedingungen 2200 statt 2000 Verlage kommen, dann wird das eine Sensation sein, und viel besser und größer als jemals zuvor. Und wer behauptet, es wäre vor 5 Jahren noch ganz anders gewesen... der ist ein Demagoge, auf den man ein Auge haben muß. :mad:
Wir haben hier komischerweise noch nie über Boris Vian gesprochen, obwohl es Bezüge zu Madame gibt. Ich muß an sein Theaterstück "Die Reichsgründer" denken, in den letzten 2 Jahren spielen wir das grade hier im Westen im realen Leben. Vielleicht schreibe ich mal was über ihn.
Ich muß gestehen, daß ich mir gar nicht sicher bin, ob dies nicht vielleicht die letzte Buchmesse war. Ich gehe da seit 30 Jahren hin, und kein einziger Verlag, der irgendwann einmal weg war, kam danach jemals zurück. Dreiviertel der Verlage sind dieses Jahr nicht da, und wenn ich mit meinen wenigen Bekannten gesprochen habe - am ersten Tag wären ihre "Stammkontakte" alle gekommen, aber am zweiten Tag kam überhaupt keiner mehr. Und das habe ich selbst gemerkt, am Mittwoch bin ich alle Stände in 3 Stunden abgelaufen, am Donnerstag hab ich eigentlich nur noch gebummelt, aber wo immer man eine Sekunde auf ein Bild oder ein Buch geschaut hat, kamen die angerannt wie von der Tarantel gestochen und haben einen zugetextet... Endlich, nach Stunden, ein Besucher von ihrem kleinen Stand... :shock:
Dafür hatten wir diesmal Zeit, viel herumzulaufen und Bilder zu machen, die man sonst nie macht. Die wunderbare alte Festhalle von außen:
[img]https://www.empiremusic.de/foren/buchmesse/P1040911.jpg[/img]
...und innen ist man ja eigentlich nie mit richtiger Kamera, wenn sie sowohl menschenleer als auch illuminiert ist. Es ist die zweitschönste Halle in Deutschland, die ich kenne, aber sie hat die zweit-beschissendste Akkustik in Deutschland... :kicher:
[img]https://www.empiremusic.de/foren/buchmesse/DSC08954.jpg[/img]
Und was mir sehr gut gefallen hat, ist die kleine Präsentationshalle des Gastlands Kanada. Die Selbstdarstellungen der Gäste in den letzten 3 Jahrzehnten waren immer die langweiligsten und scheußlichsten Möchtegern-Installationen imaginable. Aber Kanada hat wunderschöne "Wellen" als Kunstwerk aufgebaut, auf die bewegte Farben projeziert werden. Man kann ZickZack durchlaufen und die optische Wirkung ist zauberhaft:
[img]https://www.empiremusic.de/foren/buchmesse/P1040912.jpg[/img]
Also... wer trotz alledem hingehen will, unterstützt die Messe. Aber sie ist sehr teuer und sehr anstrengend (die Shuttle-Busse werfen einen dieses Jahr hinter der Festhalle raus, man muß bei Wind und Wetter komplett um den Komplex herumlaufen und dann vom Eingang innen gefühlte Kilometer den ganzen Weg zurück zu den Hallen... eigentlich ist man am ersten Stand dann schon fußlahm) und deshalb sollte man wissen, daß man leider nur sehr wenig zu sehen bekommt. Bücher liegen weniger als in jeder großen Buchhandlung herum, die ganzen schönen kleinen obskuren und exotischen Verlage fehlen, es gibt keine Hüttenstände auf den Straßen, und Promis und Shows gibt es auch faktisch keine. :coffee: