von MartinC » 31. Jul 2015, 10:42
Gestern im Kino gewesen, "Amy" der Dokumentarfilm über Amy Winehouse.
Der Film ist wohl in Deutschland ein vollständiger Flop, muß letzte Woche angelaufen sein und in dieser (zweiten) Woche lief er in der Großkinoschachtel der benachbarten Metropolstadt noch exakt an einem Tag ein einziges Mal am Nachmittag. Was wohl auch wesentlich damit zusammenhängt, daß in Deutschland Originalton mit Untertitel einfach nicht akzeptiert wird.
Der Film ist sehr sehr interessant, weil er zwar auf den ersten Blick handwerklich eine typische Footage-Doku von der Stange ist, sich aber in ein paar sehr wichtigen Punkten genau davon unterscheidet.
Der Fluch dieser Dokus (von ZDF "History" bis sonstwohin) ist grundsätzlich, daß sie zu zwei Drittel eine reine Selbstdarstellung der interviewten Zeitzeugen sind - ein dicker alter Mann nach dem anderen, der in einem Ohrensessel in einem Wohnzimmer sitzt, Name und hochrangige Position unten eingeblendet, und gönnerhaft schwadroniert was für eine geniale Sängerin, Schauspielerin, Politikerin, Malerin, was-weiss-ich die oder der doch war, und wie
ER das gleich erkannt hat, als sie zum ersten Mal reinkam.
Kotz, Würg.
Bis auf eine einzige Szene von 20 Sekunden, wo Blake Fielder einen Satz in einer BBC-Doku in die Kamera sprach, sieht man im *gesamten* Film keine *einzige* dritte Person über Amy Winehouse in die Kamera erzählen, man hört nur die O-Töne, sieht dazu Footage und Standbilder von Winehouse, oder Footage von den Straßen in London ohne sie. Der Fokus ist allein auf ihr.
Und jetzt der zweite Punkt - sie wird *nicht* überhöht, glorifiziert. So wenig wie sie verteufelt wird. Der Erzählton ist sachlich, nicht distanziert, aber neutral - das Protokoll einer Reise in den Untergang.
Und drittens, die Bilder sind brutal naturalistisch. Man könnte meinen, sie würde bloßgestellt, und das nicht nur am Ende ihrer Geschichte. Man sieht private Amateurfilme von Taxifahrten als sie noch in Jazzclubs spielte, mit Pickeln auf der Backe in Großaufnahme. Man hört unzählige Bänder, die sie anderen Leuten auf den Anrufbeantworter gesprochen hat (und man möchte nicht wirklich darüber nachdenken, warum diese Bänder eigentlich noch existieren). Man sieht Handy-Footage mehrer Massenangriffen der Paparazzi auf sie nachts in den Straßen von Camden, die in dieser Rohform unvorstellbar brutal anzusehen sind.
"Warum nun das Ganze?" Aus einem verblüffenden Grund, sie wird durch diesen Film mitnichten bloßgestellt oder medial vergewaltigt, im Gegenteil. In den letzten 12-15 Monaten ihres Lebens hat sie sich in den Medien in eine groteske Witzfigur verwandelt, mit den täglichen Headlines, aus welcher Gosse in Camden sie letzte Nacht wieder gezogen wurde. Und nach ihrem Tod haben die selben Medien einen pathetischen Mythos aus ihr gemacht. Und beiden Wahrnehmungen ist gemeinsam, daß sie nur noch eine überdimensionale Cartoon-Figur ist.
Der Film verwandelt sie wieder in einen Menschen, ein trauriges kleines Mädchen aus London mit einer (wirklich) unglaublichen Stimme und einer Geschichte, die sie in den Untergang getrieben hat. "Ruhe in Frieden" ist ein großes Wort, aber der Film kann dazu dienen, daß die Erinnerung an sie ruhiger und friedvoller - und vor allem menschlicher - wird.
Ich habe zwei Kritikpunkte: Da der Film von der Musikindustrie mitproduziert und mitfinanziert wurde, ist das eine oder andere Auge schon mal blind. Der Film geht nicht darauf ein, daß Blake Fielder (als Ehemann eines Superstars, der *nicht* aus der Politik oder Wirtschaft kam) anders behandelt wurde, als 1000 andere Kleinkriminelle, die von den selben Instanzen eine fette Geldstrafe und keine mehrjährige Haftstrafe bekamen. Getreu dem heiligen demokratischen Prinzip: "Vor dem Gesetz sind alle gleich, außer es besteht ein öffentliches Interesse, jemand anders zu behandeln".
Und zweitens wird überhaupt nicht auf den Vorwurf eingegangen, ihre Plattenfirma hätte ihr untersagt, das von ihr innig gewünschte Reggae-Album in der Karibik aufzunehmen (wo es ihr dramatisch besser gegangen war), und sie statt dessen nach Camden zurückbeordert hat (wo sie innerhalb von 3 Tagen wieder auf Drogen war) und auf "Tour" geschickt um *nochmal* "Back to Black" zu singen (was der finale Sargnagel für sie war). Wenn es nicht stimmen sollte, wäre dieser Film die Gelegenheit gewesen, die Wahrheit zu erzählen, da es aber überhaupt nicht erwähnt wird, kann man davon ausgehen, daß es eben genau die Wahrheit ist.
Die Musik im Film ist grandios, viele Proben-Tapes, Studio-Takes, unveröffentliche Live-Takes. Schade, daß der Film nicht die Aufnerksamkeit bekam, den er (und seine Geschichte) verdient hat.
Gestern im Kino gewesen, "Amy" der Dokumentarfilm über Amy Winehouse.
[img]https://upload.wikimedia.org/wikipedia/en/b/bf/Amy_Movie_Poster.jpg[/img]
Der Film ist wohl in Deutschland ein vollständiger Flop, muß letzte Woche angelaufen sein und in dieser (zweiten) Woche lief er in der Großkinoschachtel der benachbarten Metropolstadt noch exakt an einem Tag ein einziges Mal am Nachmittag. Was wohl auch wesentlich damit zusammenhängt, daß in Deutschland Originalton mit Untertitel einfach nicht akzeptiert wird.
Der Film ist sehr sehr interessant, weil er zwar auf den ersten Blick handwerklich eine typische Footage-Doku von der Stange ist, sich aber in ein paar sehr wichtigen Punkten genau davon unterscheidet.
Der Fluch dieser Dokus (von ZDF "History" bis sonstwohin) ist grundsätzlich, daß sie zu zwei Drittel eine reine Selbstdarstellung der interviewten Zeitzeugen sind - ein dicker alter Mann nach dem anderen, der in einem Ohrensessel in einem Wohnzimmer sitzt, Name und hochrangige Position unten eingeblendet, und gönnerhaft schwadroniert was für eine geniale Sängerin, Schauspielerin, Politikerin, Malerin, was-weiss-ich die oder der doch war, und wie [b]ER[/b] das gleich erkannt hat, als sie zum ersten Mal reinkam. :kotz: Kotz, Würg.
Bis auf eine einzige Szene von 20 Sekunden, wo Blake Fielder einen Satz in einer BBC-Doku in die Kamera sprach, sieht man im *gesamten* Film keine *einzige* dritte Person über Amy Winehouse in die Kamera erzählen, man hört nur die O-Töne, sieht dazu Footage und Standbilder von Winehouse, oder Footage von den Straßen in London ohne sie. Der Fokus ist allein auf ihr.
Und jetzt der zweite Punkt - sie wird *nicht* überhöht, glorifiziert. So wenig wie sie verteufelt wird. Der Erzählton ist sachlich, nicht distanziert, aber neutral - das Protokoll einer Reise in den Untergang.
Und drittens, die Bilder sind brutal naturalistisch. Man könnte meinen, sie würde bloßgestellt, und das nicht nur am Ende ihrer Geschichte. Man sieht private Amateurfilme von Taxifahrten als sie noch in Jazzclubs spielte, mit Pickeln auf der Backe in Großaufnahme. Man hört unzählige Bänder, die sie anderen Leuten auf den Anrufbeantworter gesprochen hat (und man möchte nicht wirklich darüber nachdenken, warum diese Bänder eigentlich noch existieren). Man sieht Handy-Footage mehrer Massenangriffen der Paparazzi auf sie nachts in den Straßen von Camden, die in dieser Rohform unvorstellbar brutal anzusehen sind.
"Warum nun das Ganze?" Aus einem verblüffenden Grund, sie wird durch diesen Film mitnichten bloßgestellt oder medial vergewaltigt, im Gegenteil. In den letzten 12-15 Monaten ihres Lebens hat sie sich in den Medien in eine groteske Witzfigur verwandelt, mit den täglichen Headlines, aus welcher Gosse in Camden sie letzte Nacht wieder gezogen wurde. Und nach ihrem Tod haben die selben Medien einen pathetischen Mythos aus ihr gemacht. Und beiden Wahrnehmungen ist gemeinsam, daß sie nur noch eine überdimensionale Cartoon-Figur ist.
Der Film verwandelt sie wieder in einen Menschen, ein trauriges kleines Mädchen aus London mit einer (wirklich) unglaublichen Stimme und einer Geschichte, die sie in den Untergang getrieben hat. "Ruhe in Frieden" ist ein großes Wort, aber der Film kann dazu dienen, daß die Erinnerung an sie ruhiger und friedvoller - und vor allem menschlicher - wird.
Ich habe zwei Kritikpunkte: Da der Film von der Musikindustrie mitproduziert und mitfinanziert wurde, ist das eine oder andere Auge schon mal blind. Der Film geht nicht darauf ein, daß Blake Fielder (als Ehemann eines Superstars, der *nicht* aus der Politik oder Wirtschaft kam) anders behandelt wurde, als 1000 andere Kleinkriminelle, die von den selben Instanzen eine fette Geldstrafe und keine mehrjährige Haftstrafe bekamen. Getreu dem heiligen demokratischen Prinzip: "Vor dem Gesetz sind alle gleich, außer es besteht ein öffentliches Interesse, jemand anders zu behandeln".
Und zweitens wird überhaupt nicht auf den Vorwurf eingegangen, ihre Plattenfirma hätte ihr untersagt, das von ihr innig gewünschte Reggae-Album in der Karibik aufzunehmen (wo es ihr dramatisch besser gegangen war), und sie statt dessen nach Camden zurückbeordert hat (wo sie innerhalb von 3 Tagen wieder auf Drogen war) und auf "Tour" geschickt um *nochmal* "Back to Black" zu singen (was der finale Sargnagel für sie war). Wenn es nicht stimmen sollte, wäre dieser Film die Gelegenheit gewesen, die Wahrheit zu erzählen, da es aber überhaupt nicht erwähnt wird, kann man davon ausgehen, daß es eben genau die Wahrheit ist.
Die Musik im Film ist grandios, viele Proben-Tapes, Studio-Takes, unveröffentliche Live-Takes. Schade, daß der Film nicht die Aufnerksamkeit bekam, den er (und seine Geschichte) verdient hat.